BuiltWithNOF

Interview in der Berliner Morgenpost vom 25.4.2012

“Kinder lieben Gesundheitskisten -

Wie erklärt man seinen Kleinen Krankheiten und deren Behandlung? Die Ärztin Sibylle Mottl-Link hat einen Ratgeber geschrieben”

von C. Listing

Diese Frau Doktor hat wirklich einen Vogel: Cora ist bunt, laut, frech. Aber unheimlich hilfsbereit. Cora will kranken Kindern helfen und mischt Frau Doktors Nachtschicht auf. Hinter den beiden steht die (echte) Ärztin Dr. Sibylle Mottl-Link. Sie tröstet seit 1997 kranke Kinder mit einer Handpuppe und ihren Bauchrednerkünsten. In ihrem Buch erklärt die Frau Doktor dem Vogel Cora auf 116 Seiten Wissenswertes über Fieber, Bauchschmerzen, Husten und Co. Cirstin Listing hat mit Sibylle Mottl-Link gesprochen.


Berliner Morgenpost: Ihre Lesungen sind so etwas wie Medizin-Comedy für Kinder. Machen Sie das auch für kranke Kinder, die zu ihnen kommen?
Sibylle Mottl-Link: Ich hatte als Assistenzärztin im Krankenhaus in Demmin 1997 eine blaue Handpuppe, einen hässlichen Staubwedel für fünf Mark. Immer wenn die Eltern weg waren, war die Stimmung der Kinder gedämpft. Dann kam ich mit dem Vogel. Der Spaßmacher wurde so beliebt, dass die Kinder irgendwann schon gefragt haben, wann ich Nachtdienst hätte.
 

Berliner Morgenpost: Dort entstand die Idee zu Ihrem Buch?
Sibylle Mottl-Link: Nachts um drei in der Notaufnahme sagte eine Arzthelferin zu mir: Sie sollten wirklich ein Kinderbuch schreiben. Sie können den Kindern die Krankheiten so toll erklären, dass sie alles verstehen.
 

Berliner Morgenpost: Sie bieten einen Zaubertrank bei Durchfall, empfehlen bei Bauchschmerzen einen Indianertanz, erklären die Schleim-Müllabfuhr bei Husten und die Rotz-Ampel bei Schnupfen. Haben Sie sich alle lustigen Begriffe selbst ausgedacht?
Sibylle Mottl-Link: Sie sind mir eingefallen, während ich Kindern ihre Krankheiten erklärt habe. Die Rezepturen stammen aus dem Praxisalltag. Zum Beispiel der Bauchzaubertrank: In der Notaufnahme gab es über eine Woche lang unglaublich viele Kinder mit Durchfall und Erbrechen, von denen die meisten eine Infusion benötigten. Eines dieser Kinder hatte die Elektrolytlösung verweigert, aber die Blutwerte waren trotzdem völlig normal. Ich habe den Vater gefragt, was er dem Kind gegeben habe. Er holte einen zerknüllten Zettel mit dem Rezept des Bauchzaubertranks vom Kinderarzt aus der Tasche. Dieser Trank schmeckt den Kindern und wird deshalb auch getrunken. Die besten Medikamente nützen nämlich nichts, wenn sie nicht genommen werden. Ich finde, Hausmittel dürfen ruhig schmecken.
 

Berliner Morgenpost: Kann man für die Empfehlungen in Ihrem Buch die Zutaten im Supermarkt kaufen?
Sibylle Mottl-Link: Ich habe das Buch extra so geschrieben, dass man alle Zutaten im Supermarkt oder in der Drogerie kaufen kann. Ich bin da pragmatisch: Ehe die Kinder gar keinen Salbei bekommen, dann lieber Supermarkt-Tee. Frische Pflanzen besitzen natürlich eine größere Wirkstärke. Ich habe mich daher auch im Sinne der Arzneimittelsicherheit für Teebeutel entschieden. Beim Husten sollte man den Thymian aber eher frisch nehmen, weil er besser wirkt.
 

Berliner Morgenpost: Sie ermutigen in Ihren Geschichten die Kinder, sich eine Hausmittel-Apotheke zuzulegen.
Sibylle Mottl-Link: Kinder lieben ihre eigene Gesundmachkiste! Sie gibt ihnen Selbstsicherheit und eine gewissen Macht zum Heilen. Ich habe die Zutaten extra so zusammengestellt, dass sie für Kinder ab drei Jahren unbedenklich sind. Da passiert auch nichts, wenn sie alles auf einmal essen. Kinder machen so etwas ja manchmal.
 

Berliner Morgenpost: Sie geben zum Teil ungewohnte Empfehlungen. Sie schreiben zum Beispiel, dass Kinder bei Fieber viel naschen sollten
Sibylle Mottl-Link: In der Notaufnahme musste ich einige Infusionen geben, weil kranke Kinder keinen Zucker bekommen hatten. Es gibt die seltsame Vorstellung, dass sich Bakterien nicht so vermehren würden, wenn man keinen Zucker gibt und sie „aushungern“ lässt. Aber dass die Abwehrzellen noch mehr Energie benötigen, um die Krankheitserreger erfolgreich zu bekämpfen, das bedenkt kaum einer! Bei Fieber oder Infekt braucht der Körper dringend Zucker – aber nur dann.
 

Berliner Morgenpost: Beim Thema Verstopfung machen Sie unsere Kinder zu „Langzeitsitzern“ und empfehlen Bilderbücher und Comics zum Toilettengang.
Sibylle Mottl-Link: (lacht) Im Endeffekt wäre das aber auch für Erwachsene gar nicht so schlecht. Wir hatten einen Professor in der Anatomie, der machte immer sehr drastische Sprüche. Er sagte: „Wenn Sie Hämorrhoiden vorbeugen wollen, legen Sie sich ein gutes Buch aufs Klo.“ Meine Erfahrung aus der Klinik ist, dass sich viele Kinder unwohl auf der Toilette fühlen. Das führt dazu, dass sie den Stuhlgang zurückhalten, bis er so hart ist, dass es weh tut. Ich finde, man sollte sich Zeit nehmen.
 

Berliner Morgenpost: Ein anderes Beispiel. Was sollten Eltern tun, wenn das Kind beim Spielen auf den Kopf fällt?
Sibylle Mottl-Link: Wenn sich ein kleineres Kind den Kopf stößt, weil es gestolpert oder gegen den Tisch gerannt ist, ist das meistens nicht so schlimm. Ein Kleinkind hat einen Schädel wie ein Tischtennisball, ein Erwachsener dagegen wie eine Porzellanschüssel. Deshalb gehen Stürze bei Kindern bis etwa drei Jahre meist glimpflich aus. Es sei denn, sie fallen aus größerer Höhe oder haben eine offene Kopfplatzwunde. Bei älteren Kindern muss man viel vorsichtiger sein. Da kann es nach einer harmlosen Beule aussehen, obwohl eine gefährliche Blutung im Kopf ist, die das Gehirn zusammenquetscht. Erbrechen ist dann das erste Warnzeichen.
 

Berliner Morgenpost: Und noch ein Tipp bitte: Sollte man bei Ohrenweh abschwellende Nasentropfen geben?
Sibylle Mottl-Link: Ja. Meine Erfahrung aus der Praxis ist: Wenn Eltern die Nasentropfen bei verstopfter Nase prophylaktisch geben, bekommen selbst Kinder, die früher zu Mittelohrentzündung geneigt haben, diese meist nicht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass bei einer dicken Erkältung hinten im Rachen alles geschwollen und verschleimt ist. Die Nasentropfen öffnen die inneren Ohrzugänge und verhindern so, dass die Bakterien sich dort einnisten können. Allerdings sollte man sie Kindern nur zum Schlafen geben, weil sie nur im Liegen so wirken.
 

Berliner Morgenpost: Ihr Buch ist eigentlich für Kinder geschrieben. Was raten Sie Eltern, um sich zu informieren?
Sibylle Mottl-Link: Eltern, bei denen ich merke, dass sie ein gutes Gefühl für ihr Kind haben, rate ich, es zu beobachten. Mir ist wichtig, dass es nicht um Zahlen geht. Wenn das Kind mit 39,2 Grad noch mit Bauklötzen spielt, muss man kein Fiebermittel geben. Viele trauen dem eigenen Gefühl nicht. Das sollten Eltern aber. Sorgen sollte man ernst nehmen. Und Kuscheln ist wichtig. Mütter sagen oft: Das Kind hängt die ganze Zeit an mir. Ich sage: Dann braucht es das eben zum Gesundwerden.

 

BerlinerMorgenpost3